Anlässlich der laufenden Koalitionsverhandlungen fordern die unterzeichnenden Verbände, Vereine und Initiativen, die bestehende Einseitigkeit von Betreuungsmodellen für Trennungsfamilien zu beenden und zu einer zeitgemäßen Vielfalt von Betreuungsmodellen zu kommen.
Im Sondierungs-Ergebnispapier haben sich die Ampel-Parteien unter der Überschrift „Gleichstellung und Vielfalt“ vorgenommen, das Familienrecht „der gesellschaftlichen Realität“ anzupassen. Wir begrüßen ausdrücklich, dass diese Erkenntnis endlich und überfällig in der Politik angekommen ist.
Insbesondere begrüßen wir das Bestreben der FDP, mit dem „Wechselmodell als gesetzlicher Regelfall“ einen Paradigmenwechsel einzuleiten, der den Bedürfnissen und dem Recht unserer Kinder auf beide Eltern auch nach Trennung endlich gerecht wird und damit erstmals in Übereinstimmung mit der UN-Kinderrechtskonvention stehen soll. Wir begrüßen weiterhin, dass vom gesetzlichen Regelfall paritätischer Betreuung auch zukünftig dann abgewichen werden kann, wenn es dem Wohl der Kinder widerspricht. Dieses kann bei psychischer, physischer oder sexualisierter Gewalt, Verwahrlosung oder bei größeren Entfernungen zwischen den elterlichen Wohnungen gar nicht anders sein. Auch müssen Gerichte in solchen Fällen weiterhin die Möglichkeit haben, im Sinne betroffener Kinder auch gegen das Wechselmodell zu entscheiden.
Zugleich betonen wir, dass es eines Quantensprungs in der elterlichen Betreuung auch nach Trennung und Scheidung bedarf. Mit den gesetzlichen Änderungen soll auch ein deutliches Signal an Familiengerichte, Jugendämter, Familienberatungsstellen und Fachkräfte gesendet werden, dass Kontaktabbrüche zu Elternteilen und damit auch zu Großeltern, oder die Unterteilung in Eltern erster und zweiter Klasse von Politik und Gesellschaft mehrheitlich nicht mehr gewollt sind. Unseren Kindern werden mit dem heutigen Familienrecht zu oft und zu leicht große Teile ihrer Identität und ihrer Biographie, ihrer Vertrauens-, Orientierungs-, Kontakt- und insbesondere ihrer Schutzpersonen genommen.
Die heutige Gesetzgebung verhindert eine Vielfalt an Betreuungsmodellen und manifestiert noch immer das sogenannte „Residenzmodell“. Das bedeutet, dass das Prinzip „Einer erzieht, einer bezahlt“ noch immer gängige Praxis ist.
Mit der Abkehr von der derzeitig einseitigen und nicht mehr zeitgemäßen Praxis des „Residenzmodells als Regelfall“ sollten mehrere gesetzliche Änderungen einhergehen. Es sollte neben „alleinerziehend“ auch eine Familienform „getrennterziehend“ eingeführt werden, zu der bereits heute die meisten Trennungseltern zählen, nur nirgends erfasst oder benannt werden. Im Mikrozensus sollen auch Getrennterziehende statistisch erfasst werden. Das Unterhaltsrecht muss so ausgestaltet werden, dass es einen Anreiz zur gemeinsamen Betreuung leistet. Dieses wäre endlich zeitgemäß und kindeswohlorientiert. Es bedarf von den zukünftigen Koalitionspartnern einer echten Reform des Familienrechts, die bindungsfürsorgliches Verhalten gegenüber den Kindern als Leitmotiv betrachtet.
Alleinerziehende, wo der leibliche andere Elternteil unauffindbar, verstorben oder erziehungsunfähig ist, brauchen andere finanzielle Unterstützung als bisher, währenddessen die strukturelle und kulturelle Abkehr des grundsätzlichen Alleinerziehendenmodells hierfür Mittel freimachen könnte durch Entlastung der öffentlichen Betreuungsinfrastruktur und durch höhere Erwerbsbeteiligung von berufstätigen Müttern mit den bekannten positiven Effekten für persönliche, wirtschaftliche Eigenständigkeit, Teilhabe am Wirtschaftskreislauf sowie erhöhte Steuereinnahmen.
Die hier dargestellten Veränderungen im Familienrecht wären ein wichtiger Baustein, um insbesondere Frauen und Mütter im Zuge der Gleichberechtigung und auch im Sinne der „gemeinsamen Sorgeverantwortung von Mutter und Vater auch nach Trennung und Scheidung“ zu unterstützen. Die gemeinsame Sorge auch nach Trennung und Scheidung sehen beispielsweise B90 / Die Grünen als „Voraussetzung für Chancengleichheit und Gleichberechtigung der Geschlechter“ (Bundestagswahlprogramm S. 100 [Wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen stärken]). Die Grünen fordern darin auch zu Recht, dass „insbesondere Väter gleichermaßen Verantwortung und Sorgearbeit in der Familie übernehmen und Arbeit geschlechterneutral aufzuteilen“. Es ist kaum davon auszugehen, dass die Grünen diese Überzeugung nach Trennung und Scheidung aufgeben und Eltern in Elternteilen erster und zweiter Klasse aufteilen wollen.
Auch die SPD betont in ihrem Wahlprogramm die „gleichstellungsorientierte Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Alle Parteien erkennen somit, dass in einer zeitgemäßen, gleichstellungsorientierten Familienpolitik, die darüber hinaus unsere Kinder im Blick behält, echte Reformen im Familienrecht nur konsequent sind. Das „LEIT“-Bild Doppelresidenz / Wechselmodell ist die konsequente Fortsetzung im Lebenslauf einer zeitgemäßen, gleichstellungsorientierten Familienpolitik; darüber hinaus die konsequente und längst überfällige Umsetzung der Resolution 2079 des Europäischen Parlaments aus 2015. Der Blick ins europäische Ausland belegt, dass Mütter mit Erwerbstätigkeit deutlich besser im Wirtschaftsalltag eingebunden sind, wo Väter den Familienalltag aktiv mitgestalten. Unsere am besten ausgebildete Generation an Frauen und Müttern, die wir jemals hatten, wird in der Bundesrepublik Deutschland noch immer nach Trennung gezielt behindert.
„Den Müttern mehr Karriere, den Vätern mehr Familie und unseren Kindern beide Eltern“ – das propagieren neben der Vorstandsvorsitzenden des Verbands berufstägiger Mütter e.V. (VBM), Cornelia Spachtholz, inzwischen immer mehr AkteurInnen und EntscheidungsträgerInnen und das sollte für den gesamten Lebenslauf – auch nach Trennung – gelten. Die künftigen Koalitionspartner sind somit gefordert, auch nach Trennung und Scheidung der Eltern nicht weiter in alte Rollenbilder zu verfallen, welche insbesondere Mütter gezielt in antiquierte Rollenmodelle drängt und Retraditionalisierung, Armut und Altersarmut insbesondere von Müttern fördert. Die gegenwärtige Praxis erzeugt Spaltungen und Diskriminierungen, wie man sie eher an populistischen Rändern erwarten würde. Dies findet längst nicht mehr die Akzeptanz in der Bevölkerung und ist in einer Zukunftskoalition endlich zu überwinden.
Wo sich Eltern nach Trennung streiten, muss die Politik die derzeitige Praxis „Mama ODER Papa“ dringend verändern und die „faktische Kapitulation von Familiengerichten und Helfersystem“ beenden. Wo immer es geht, müssen Eltern – notfalls sanktionierbar – auch durch zwingende Beratung / Mediation/ Coaching in die Lage versetzt werden, ihrer gemeinsamen Sorgeverantwortung ihren Kindern gegenüber gerecht zu werden. Konzepte dafür sind umfangreich vorhanden und international erprobt.
Zusammenfassend möchten wir die Parteien ausdrücklich ermutigen, sich nicht von Partikularinteressen von Lobbygruppen, welche nicht das Wohl der Kinder im Blick haben, aus dem Konzept bringen zu lassen. Zugleich ermutigen wir die Träger der Familienhilfe und Sozialverbände, die Förderung gemeinsamer Betreuung zu wagen. Dieses ist die beste Vorbeugung vor Vernachlässigung, Überforderung und materieller Not. Nicht die gemeinsame Betreuung ist "anspruchsvoll" und herausfordernd, sondern das Alleinerziehen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass in Zukunft die Sorge häufiger auf mehr Schultern lastet, als dies heute der Fall ist. Dies sind wir unseren Kindern schuldig. Es ist an der Zeit, Deutschland in Europa familienrechtlich endlich ins 21. Jahrhundert zu holen und eine zeitgemäße, grundrechtskonforme und kindeswohlorientierte Rechtsordnung zu schaffen. Nichts weniger erwarten die unterzeichnenden Verbände.
Dr. Charlotte Michel-Biegel & Ulf Hofes
Vorstand
Papa Mama Auch – Verband für
Getrennterziehen
Markus Witt
Sprecher
Bündnis Doppelresidenz.org
Marco Michelmann
Mitglied des Bundesvorstandes
Väteraufbruch für Kinder e.V.
Stefan Dringenberg
1. Vorsitzender
Eltern für Kinder im Revier e.V.
Gerd Riedmeier
Vorsitzender
FSI - Forum Soziale Inklusion e.V.
Robert Glogowski
Dr. Antje-Mareike Dietrich
Initiative Die neue Gleichberechtigung ist gemeinsam
Annemie Wittgen
Bundesinitiative Großeltern
Jörg Langanke & André Roßnagel
Vorstand
VÄTER-Netzwerk e.V.
Achim Mathusek
Vorstandsvorsitzender Vorstand
Vätergruppe Kassel e.V.