Seit März 2021 liegt dem Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) ein Gutachten mit dem Titel „Gemeinsam getrennt Erziehen“ vor. Verfasst wurde es unter anderem vom wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen und so bekannten Namen, wie Sabine Walper (die inzwischen auch für die Studie "Kindeswohl und Umgangsrecht" ("PETRA-Studie") verantwortlich ist) und Jörg M. Fegert (Kinderpsychiater und Experte für Kinderschutz und Jugendhilfe). Es dokumentiert und konkretisiert den überfälligen Reformbedarf im bundesdeutschen Familienrecht. Dass dieses Gutachten erst jetzt, dank einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz durch das "Forum Soziale Inklusion" (welches das BMFSFJ nicht förderungswürdig findet), der Öffentlichkeit zugänglich wurde, passt zu unserem Eindruck der Reformbereitschaft der Politik in diesem Bereich.
„Seit Jahren werden die notwendigen Reformen im Familienrecht systematisch verhindert. Es wird spannend, wie konsequent nun die neue Regierungskoalition die Empfehlungen umsetzen wird“, mahnt Gerd Riedmeier, Vorsitzender des Vereins Forum Soziale Inklusion (FSI) an.
Die Ausführungen im Gutachten zeigen, „es besteht weitreichender Reformbedarf, um eine geteilte Betreuung von Kindern durch ihre getrennten Eltern in unserem Rechtssystem zu verankern.“ Dies betreffe „insbesondere die Unterhaltsregeln, die unterschiedlichen Ausprägungen geteilter Betreuung Rechnung tragen sollten“, aber auch weitere Rechtsbereiche wie Melderecht oder statistische Erhebung von Trennungsfamilien.
„Den Bemühungen um eine zukunftsorientierte Familienpolitik, welche die gemeinsame Elternverantwortung fördert“, so der wissenschaftliche Beirat des Familienministeriums, stehe bislang „ein familienrechtliches Regelwerk gegenüber, das die Rollen beider Eltern nach Trennung und Scheidung ungleich verteilt und neben dem hauptbetreuenden einen lediglich umgangsberechtigten Elternteil vorsieht“ und konkretisiert: „Der Änderungsbedarf ist offenkundig“.
Der Beirat spricht sich weiter dafür aus, dass „die Betreuung und Erziehung der Kinder durch beide Eltern vor und nach einer Trennung und Scheidung Ziel einer zukunftsorientierten Familienpolitik sein sollte“. Es sei „ein großes Anliegen, die geteilte Betreuung im Rechtssystem zu integrieren.“ Auch die Aufteilung von staatlichen Leistungen wie Kindergeld auf beide Haushalte der Trennungseltern müsse angemessen geregelt werden.
Inhalte und Empfehlungen liegen auf einer Linie mit früheren Beiträgen des Deutschen Juristentags, der Bundeskonferenz der Justizminister sowie der Entschließung 2079 des Europarats vom Oktober 2015. Auch FSI begrüßt grundsätzlich die Empfehlungen des Gutachtens des mit 21 Professorinnen und Professoren namhaft besetzten wissenschaftlichen Beirats.
Warum wurde das Gutachten nicht Veröffentlicht?
Es stellt sich jedoch die Frage, warum das BMFSFJ die Studie des eigenen Beirats bisher nicht selbst veröffentlicht hat. Da die Empfehlungen zu großen Teilen der Argumentation als auch der Handlungslinie des Ministeriums widersprechen, steht der Verdacht im Raum, dass das Gutachten unsichtbar gemacht werden sollte. Eine ähnliche Verschleppungsstrategie ist bereits aus früheren Fällen bekannt. Dazu passt auch die Weigerung des Ministeriums, die Ergebnisse ihrer eigenen Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ (Petra-Studie) zu veröffentlichen, die 2017 beauftragt wurde.
Die neue Regierung muss jetzt handeln! Das BMFSJF muss mit einer neuen Führung ausgestattet werden um die notwendigen Reformen anzupacken. Eine erneute Besetzung dieses Postens mit Politikern aus den Reihen von SPD oder GRÜNEN wird nicht Zielführend sein.