Es ist wieder soweit. Es wird wieder einmal über das gemeinsame Sorgerecht für nicht mit der Mutter verheiratete Väter diskutiert. Die Art und Weise, wie diese Diskussion geführt wird, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Längst überholte und widerlegte Vorurteile gegen Väter werden aus der Mottenkiste der Geschichte hervorgeholt und die Politik scheint sich wieder einmal der gesellschaftlichen Realität entziehen zu wollen.
Seit 30 Jahren hören wir von der Unmöglichkeit kurzfristiger Reformen. Schluss mit diesem unwürdigen Gefasel!
Als Verein, den das Thema gemeinsames Sorgerecht seit über 30 Jahren beschäftigt, ist es daher jetzt an der Zeit für einen Rückblick auf die bisherigen Entwicklungen und klare Forderungen für Veränderungen hin zur automatischen gemeinsame Sorge ab Geburt für alle Väter.
Jahrzehntelang konnten Väter in Deutschland, die nicht mit der Mutter verheiratet waren, das gemeinsame Sorgerecht nur erhalten, wenn die Mutter dem zustimmte. Nicht mit den Menschenrechten vereinbar entschied 2009 der europäische Gerichtshof für Menschenrechte[1]. Es müsse mindestens eine rechtliche Möglichkeit geben prüfen zu lassen, ob der Vater nicht doch das gemeinsame Sorgerecht erhalten könne. Die bestehenden Gesetze wurden durch das Bundesverfassungsgericht für derart unvertretbar mit den Menschenrechten gehalten, dass es selbst eine vorläufige Regelung[2] erlies, bis der Gesetzgeber seiner Pflicht nachkommt.
Was folgte, war eine unwürdige Debatte. Vor allem Mütterverbände wehrten sich erbittert gegen das automatische Gemeinsame Sorgerecht. Es gäbe ja auch Fälle von Gewalt, die Eltern müssten miteinander kommunizieren können, die Mütter würden ja einen guten Grund haben, wenn sie gegen das gemeinsame Sorgerecht seien. Die gemeinsame Sorge würde dem Kindeswohl widersprechen, wenn sich die Eltern darum streiten würden.
So im Wesentlichen das damalige Mantra. Dies ging, wie selbstverständlich, davon aus, dass all die problematischen Umstände wohl nur von den Vätern ausgehen könnten – das Erziehungsprimat der Mutter wurde zu keinem Zeitpunkt hinterfragt, ebenso wenig, ob die von ihr vorgetragenen Gründe gegen die gemeinsame Sorge entweder von ihr selbst herbeigeführt worden sein könnten (Kommunikationsprobleme) oder aber von ihr ausgingen (z.B. Gewalttätigkeit). In der Diskussion war klar: das Problem könne nur der Vater sein. Dass eine Mutter die gemeinsame elterliche Sorge aus rein egoistischen Gründen ablehnen könnte? Es schien (und scheint), als ob es hierzu ein Denkverbot geben würde.
Allein die Art und Weise der Problembeschreibung hätte schon hellhörig werden lassen müssen, war diese doch in höchstem Maße diskriminierend und mehr an den Interessen der Mütter als an denen der Kinder orientiert, von den Grund- und Menschenrechten der Väter einmal gar nicht zu sprechen.
Familienrecht in Deutschland: kleinstmögliche Schritte statt zeitgemäßer Entwicklung
Der Gesetzgeber entschied sich dann 2013 für den kleinstmöglichen Schritt. Stimme die Mutter der gemeinsamen Sorge nicht zu, müsse der Vater einen Antrag bei Gericht stellen. Dieses habe dann zu prüfen, ob das gemeinsame Sorgerecht „dem Kindeswohl widerspreche“.
Es braucht nicht viel Fantasie, dass jede Mutter, die die gemeinsame Sorge nicht wollte, obwohl diese eigentlich möglich gewesen wäre, durch diese Regelung motiviert wurde, möglichst viele Gründe zu (er-)finden, die aus ihrer Sicht gegen eine gemeinsame Sorgeausübung sprechen würden. Denn bei einer zerrütteten Elternbeziehung, in der es keine Kooperation, keine Kommunikation und keine Basis für eine gemeinsame Elternschaft gab, könne es natürlich kein gemeinsames Sorgerecht geben. Also musste Frau im Zweifelsfall selbst dafür sorgen, dass all diese Punkte zutrafen.
Der Gesetzgeber hatte hier eine Regelung erschaffen, die Streit zwischen den Eltern provoziert und damit per se bereits dem Kindeswohl widerspricht. Dabei hatte er die Probleme seinerzeit durchaus im Blick gehabt, wie die Ausführungen zur Gesetzesbegründung[3] zeigten:
„Auch schon manifest gewordene Kommunikationsschwierigkeiten rechtfertigen für sich genommen nicht per se eine Ablehnung der gemeinsamen Sorge, da von den Eltern zu erwarten ist, dass sie Mühen und Anstrengungen auf sich nehmen, um im Bereich der elterlichen Sorge zu gemeinsamen Lösungen im Interesse des Kindes zu gelangen. Diese elterliche Pflicht trifft nicht miteinander verheiratete Eltern gleichermaßen."
Wie das BVerfG in seinem Beschluss vom 21. Juli 2010 festgestellt hat, dürfen die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden (Nummer 75). Andernfalls könnte in der Praxis nur in Ausnahmefällen eine gemeinsame elterliche Sorge erreicht werden. Da im Zuge einer Trennung vielfach Kommunikationsprobleme auftreten, können diese nicht ohne Weiteres zu einer ablehnenden Entscheidung nach § 1626a Absatz 1 Nummer 3, Absatz 2 BGB-E führen. Vielmehr muss auf der Kommunikationsebene eine schwerwiegende und nachhaltige Störung vorliegen, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, würde man seine Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen.
Der pauschale Vortrag der Kindesmutter, sie könne nicht mit dem Kindesvater sprechen und sie beide hätten auch völlig unterschiedliche Wertvorstellungen, kann per se mithin noch nicht dazu führen, die gemeinsame elterliche Sorge zu versagen. Stützt der sorgeberechtigte Elternteil seine Verweigerung der gemeinsamen Sorgetragung auf fehlende Kooperationsbereitschaft oder -fähigkeit, genügt es nicht, lediglich formelhafte Wendungen hierzu vorzutragen. Dem Vortrag müssen sich vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass eine tragfähige Basis für eine gemeinsame elterliche Sorge nicht besteht und Bemühungen der Eltern um eine gelingende Kommunikation gescheitert sind.“
Da dieser gut gemeinte Appell allerdings keinen Eingang in den Gesetzestext fand und vor allem keinen Hinweis des Gesetzgebers wie mit dem Sorgerecht umzugehen ist, wenn die Mutter die Probleme hervorruft, wurden die Gerichte in den ersten Jahren immer wieder mit Verfahren behelligt, in denen bewiesen werden sollte, dass mit diesen Vätern eine gemeinsame Sorgerechtsausübung nicht möglich wäre.
Tatsächlich entsprach dies nur in wenigen Fällen den Tatsachen. Die Gerichte bestätigten bis auf wenige Ausnahmen die gemeinsame Sorge, da den meisten Eltern diese Fähigkeit zugetraut wurde, es also an der Grundlage nicht fehlte. Die mangelnde Bereitschaft könne kein Grund zur Ablehnung der gemeinsamen Sorge sein, denn so würde das vom EGMR als menschenrechtswidrige Veto-Recht der Mutter durch die Hintertür wiedereingeführt werden.
2018 dann wurde für den Deutschen Bundestag wissenschaftlich evaluiert, wie sich die Änderung des Sorgerechts seit 2013 ausgewirkt habe[4]. Im Ergebnis zeigte sich: die gemeinsame Sorge funktioniert, die Befürchtungen hatten sich nicht bewahrheitet. Selbst ein Großteil der befragten Richter sprach sich für eine automatische gemeinsame Sorge ab Geburt aus.
Damit nicht genug, wurde durch das Bundesjustizministerium noch eine Expertengruppe ins Leben gerufen, die Thesen zu einer Neuregelung des Familienrechtes erarbeiten sollte. Waren die Aussagen teils vage und teils unentschieden, so gab es doch auch einen einstimmig befürworteten Punkt: die gemeinsame Sorge ab Geburt auch für nicht mit der Mutter verheiratete Väter.
Angesichts der Faktenlage und jahrelangen Praxiserfahrung hätte es eigentlich keiner Diskussion mehr bedurft. Und was passierte? Das Bundesjustizministerium lässt in der Presse[5] verkünden, dass man an der bestehenden Situation im Wesentlichen nichts ändern möchte – das Veto-Recht der Mutter solle erhalten bleiben. Aus der Mottenkiste der Geschichte wurden exakt dieselben Argumente ausgepackt, wie sie von 2010 – 2013 gegen die automatische gemeinsame Sorge angeführt wurden. Das Bundesjustizministerium gab als Begründung auf Nachfrage[6] auch an, dass es ja auch Fälle gebe, in denen Kinder durch Vergewaltigung gezeugt wurden und eine Grundlage für die gemeinsame Sorge fehle.
Das Argument hat durchaus seine Berechtigung und würde im Falle einer Sorgerechtsentscheidung sicherlich auch entsprechend durch die Gerichte gewertet werden. Nur, über wie viele Fälle reden wir hier eigentlich, dass man allen nichtehelichen Vätern die vorbehaltlose gemeinsame Sorge verwehren will?
Als Anhaltspunkt hilft hier ein Blick in die Statistik der Schwangerschaftsabbrüche[7] aus „kriminologischer Indikation“ – dort sind für das Jahr 2019 insgesamt 17 Fälle aufgeführt. Die Anzahl der Geburten von nichtehelichen Kindern, die infolge einer Vergewaltigung gezeugt wurden, dürfte kaum höher oder gar niedriger ausfallen. So verabscheuungswürdig solche Taten unbestritten auch sind – diese allen nichtehelichen Vätern als Sippenhaft vorhalten zu wollen, ist im höchsten Maße diskriminierend.
Das Ministerium wäre hier besser beraten, einen Ausnahmetatbestand zu formulieren, wenn es diesen Bereich regeln will, anstatt nichteheliche Väter unter Pauschalverdacht zu stellen. Mit den bisher vorgebrachten Argumentationen muss sich das SPD-geführte Justizministerium zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, keine rechtliche, sondern eine feministisch-ideologische Regelung schaffen zu wollen. Zu Lasten von Väter. Zu Lasten von Kindern. Zu Lasten der Gleichberechtigung. Und für begründete Einzelfälle sind die Gerichte zuständig, um den Vätern in begründeten Fällen das Sorgerecht zu entziehen – oder aber der Mutter, denn solche Entscheidungen haben sich nicht am Geschlecht, sondern am Verhalten gegenüber den Kindern und deren Bedürfnissen zu orientieren.
Väter haben seit Jahrzehnten bewiesen, dass Sie bereit und in der Lage sind, elterliche Verantwortung zu übernehmen. Sie mussten Fragen und Herausforderungen meistern, denen sich Mütter niemals stellen mussten, denn ihre Erziehungsfähigkeit stand quasi per Geschlecht unantastbar fest (auch wenn zahlreiche Skandale diese pauschale Vorannahme so nicht bestätigen). Väter sind genauso gute oder schlechte Elternteile wie es Mütter sind. Die Unterschiede liegen nicht im Geschlecht, sondern im individuellen Verhalten. Dies sollte auch die Politik begreifen, die seit Jahren immer wieder, mehr oder weniger direkt, den Geschlechterkampf anheizt.
Schluss mit dem Geschlechterkampf
Die Gewaltdiskussion ist dafür ein gutes Beispiel, wird diese von den beiden SPD-geführten Ministerien Familie und Justiz nahezu ausschließlich nach dem Schema „Täter Mann, Opfer Frau“ geführt. Dabei kennt Gewalt kein Geschlecht. Sie ist in jedem Falle zu verachten und auch männliche Opfer verdienen Unterstützung und Mitgefühl, genauso wie weibliche Täterinnen zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Die Politik und die zuständigen Ministerien wären gut beraten, dem Geschlechterkampf eine Absage zu erteilen und gerade in familiären Fragen, die Kinder betreffen, völlig geschlechtsneutral auf das Verhalten der Eltern abzustellen. Das fatale Axiom der immer „guten Mutter“ ist genauso unzutreffend wie die Annahme des „bösen“ und „schlechten Vaters“.
Daher die klare Aufforderung an die Politik: Schluss mit dem Geschlechterkampf. Akzeptiert Väter endlich als
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gleichberechtigte
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gleichverantwortliche
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gleich wichtige und
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von Kindern gleich geliebte
Elternteile, deren Recht und Pflicht es ist, ab der Geburt des Kindes genauso für dieses zu sorgen, wie es auch die Mutter tut und die ihren Kindern einen eigenen, wichtigen Erziehungsbeitrag leisten.
Und wenn es tatsächlich Entscheidungen über die elterliche Sorge geben muss, dann müssen diese sich am Verhalten der Eltern orientieren – und inwiefern dieses Verhalten dem Wohl des Kindes dienlich ist. Bisher ist es noch so, dass der Elternteil, der das Kind hat und am intensivsten streitet, fast immer die alleinige Verfügungsgewalt über das Kind erhält und den anderen Elternteil aus dem Leben des Kindes drängen kann (völlig geschlechtsneutral).
Daher, liebes Justizministerium, wenn ihr tatsächlich tragfähige Lösungen zum Sorgerecht schaffen wollt, dann solltet ihr im Gesetz festschreiben[8], dass der Elternteil den Vorzug bei der Zuweisung der elterlichen Sorge haben soll, der
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Kooperationsfähig ist
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sich um Kooperation bemüht
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Kommunikationsfähig ist
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sich um Kommunikation bemüht
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bindungstolerant und bindungsfürsorglich ist und handelt
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dem Kind gegenüber förderungskompetent handelt.
Erfüllen beide Eltern diese Mindestanforderungen, sollen natürlich auch beide Eltern die elterliche Sorge ausüben – die Kinder werden von solchen Eltern profitieren.
Eine konsequente und vor allem geschlechtsneutrale Anwendung dieser Grundlagen würde dazu führen, dass die Eltern tatsächlich zu kooperativem Verhalten angehalten werden.
Verfahrenstaktische Streiteskalation, wie sie unser heutiges Recht und vor allem die Rechtsprechung belohnen, würde so nicht mehr zum Erfolg führen. In der Folge hätten die Eltern die Möglichkeit und das eigene Interesse, sich auf das Wichtigste zu konzentrieren – auf das Wohlergehen ihrer Kinder und nicht auf den Streit zwischen den Eltern.
Vermutlich werden wir auf solche positiven Entwicklungen aber wieder einmal warten müssen. Denn wie hieß es doch kürzlich? „Eine gesamte Neustrukturierung des Familienrechts sein jedoch kurzfristig nicht zu realisieren“[9]. Auch hier muss ganz klar gesagt werden: dieses „kurzfristig ist nichts zu machen“ hören wir aus der Politik seit über 30 Jahren. Es ist lange überfällig, dass die grundlegende Reform angegangen wird. Auch die jetzt angekündigten Minimaländerungen wurden wieder an das Ende der Legislaturperiode geschoben, die Studie Kindeswohl und Umgangsrecht wird immer weiter verzögert und man kann schon jetzt gespannt sein, welche Ausreden die nächste Regierung haben wird, um wieder einmal nichts Substantielles zu verändern.
Vielleicht sollten wir jeden Politiker, der gerne bedeutungsschwer Worte wie „Kindeswohl“ oder „Kinderrechte“ in den Mund nimmt darauf hinweisen, dass genau diese durch die bestehenden Gesetze mit Füßen getreten werden. Nicht die Worte der Politik bringen Verbesserungen für Kinder getrennter Eltern, sondern nur die Taten. Und zu tun gibt es aufgrund der jahrzehntelangen Untätigkeit in Deutschland leider genügend.
[1] Zaunegger v. Deutschland, 22028/04 vom 03.12.2009, https://hudoc.echr.coe.int/eng#{%22itemid%22:[%22001-139529%22]}
[2] BVerfG, 1 BvR 420/09 vom 21.07.2010 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2010/07/rs20100721_1bvr042009.html
[3] BT Drucks 17/11048 Seite 17
[4] BT Drucks 19/1450 https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/014/1901450.pdf
[5] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bmjv-gemeinsames-sorgerecht-unverheiratete-eltern-vater-automatisch-familienrecht-wechselmodell-eizellenspende/
[6] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bmjv-sorgerecht-automatisch-unverheiratete-vaeter-mutter-eltern-kind-vaterschaft-kindeswohl-familiengericht/
[7] Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/Publikationen/Downloads-Schwangerschaftsabbrueche/schwangerschaftsabbrueche-2120300197004.pdf?__blob=publicationFile&fbclid=IwAR25kxPddArQvnzjkLh-T1H1fIFJHZF7qV3mh2OD-0c9DAl9ElOHTAVDLZc
[8] Vergl. auch in ähnlicher Form §138 ABGB https://www.jusline.at/gesetz/abgb/paragraf/138
[9] https://www.rnd.de/politik/sorgerecht-justizministerin-plant-teilreform-fur-mehrelternfamilien-SYQU2EMX7NBDDP72OICDJIYIMQ.html